July - motorische Entwicklungsverzögerung

Und dann kam July zu mir, 9 Monate alt, weil sie keine Anstalten machte, sich fortzubewegen. Sie streckte sofort ihre Ärmchen nach mir aus und als ich sie hochnahm drückte sie mich ganz fest. „Das Kind hat eine unglaubliche Kraft“, dachte ich mir. Ich setzte sie auf die Liege, July lächelte und auf ihren Wangen bildeten sich kleine Grübchen. Sie eroberte mein Herz im Sturm.

Während ihre Mutter sie hielt, tastete ich ihren Kopf ab um mir ein Bild machen zu können. Da drückte sie ihre Mutter wie vorhin mich. Doch plötzlich veränderte sich ihr liebevoller Gesichtsausdruck. Fast hasserfüllt starrte sie vor sich hin. „Ja, das macht sie öfter“, meinte die Mutter, es sei ihr unerklärlich. July drückte ihre Mutter und zerrte an ihren Haaren, bis diese vor Schmerz aufschrie. Dann so plötzlich wie er gekommen war, war Julys Anfall vorbei. Sie ließ ihre Mutter los und lächelte wieder. „Sind sie verheiratet“ fragte ich die Mutter. „Nein, aber ich lebe mit Julys Vater zusammen“, antwortete sie. „Und wie ist die Beziehung so“, fragte ich unschuldig. „Ach ganz gut“, murmelte sie, „er ist halt sehr gestresst. Und er ist wesentlich älter als ich, er hat schon Kinder aus erster Ehe und traut mir nicht zu mit meinem Kind umgehen zu können.“ Sofort begann July wieder an den Haaren ihrer Mutter zu zerren um dann wieder zu lächeln. „Ist die Wut, die sie unterdrücken sehr groß?“, fragte ich. Die Mutter zuckte hilflos mit den Schultern. „Es war schon immer so, erst ordnete ich mich meiner Mutter unter und jetzt meinem Lebenspartner. Ich versuche ihn nicht zu ärgern, damit es keinen Streit gibt. Ich leide ständig unter Schulterverspannungen, die trotz Massagen nicht auflösbar sind. Wahrscheinlich kommen sie vom vielen Ducken.“ Ich legte der Mutter eine Hand in den Nacken und meine andere Hand in den Nacken des Babys. Während die Mutter gegen meine Hand drückte, gab das Baby meiner Hand nach und obwohl ich keinerlei Druck ausübte, neigte es sich immer weiter nach vorne bis ihr Gesicht die Liege berührte. Sie hatte anscheinend alle Kraft auf der Vorderseite ihres Körpers geparkt und keinerlei Kraft im Rücken. July begann bitterlich zu schluchzen. Ich nahm sie hoch, legte ihren Rücken an meinen Körper, schob meinen Arm zwischen ihren Beinchen durch, so dass meine Hand auf ihrer Brust zu liegen kam. Ich überstreckte sie und sofort stellte sich ein Wirbelsäulenunwinding ein. Bald beruhigte sie sich und ich legte sie auf den Rücken. Ich begann ihr Atlantooccipitalgelenk zu palpieren. Das war ihr nicht recht. Sie begann lautstark zu protestieren. Dicke Tränen quollen aus ihren Augen. Ihre Mutter beugte sich über sie und sprach beruhigend auf sie ein. Ganz langsam löste sich die Spannung aus Julys Halswirbelsäule und das Weinen verebbte. Ich nahm ihren Kopf in beide Hände um ihre Falx zu dehnen. Ich dehnte sie in die gleiche Richtung in der das Atlantooccipitalgelenk blockiert war. Wie von selbst drehte sich ihr ganzer Körper mit. Ich legte eine Hand ans occiput und eine unters sacrum und folgte dem Entwirrungsprozess. Hin und wieder weinte July noch auf, doch die meiste Zeit schien sie sich richtig mit zubewegen.

Als ich sie nach Abschluss der Behandlung in die Arme der Mutter legte schaute July diese so sanft und liebevoll an, dass sie zu schluchzen begann. So habe ihre Tochter sie noch nie angesehen und auch so angeschmiegt hätte sich July noch nie. Ich murmelte gerührt: „Bitte nehmen sie sich die Zeit und genießen sie diesen Moment“ und verdrückte mich leise aus dem Behandlungsraum. Solche Augenblicke gehören Mutter und Kind allein. Da weiß ich, dass meine Arbeit beendet ist und ich mich zurückziehen kann. Unsere Aufgabe ist die einer kurzen Begleitung.

Die Beiden kamen glücksstrahlend aus dem Behandlungsraum und die Mutter setzte July auf den Boden um sich anziehen zu können. Es war wie ein Wunder, July legte sich auf den Bauch und begann ihre ersten Krabbelversuche.

Ich glaube dieses Beispiel zeigt ganz deutlich, dass ein Körper auf psychische Belastung, auch aus seiner Umgebung reagiert und erst gewisse emotionale Traumen bearbeitet werden müssen um den Körper aus seiner Fehlfunktion zu bringen.

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