Paul - Hyperaktivität

Wie viel Kreativität und Anleihe aus anderen Therapieformen oft von Nöten ist zeigte mir Paul:

Paul ist ein ganz süßer, rothaariger Junge, 5 Jahre alt. Wenn er mich mit seinen großen braunen Augen anschaut, erlaube ich ihm fast alles.

Paul kam zur ersten Sitzung mit seinem Papa, während seine Mutter mit seinem kleinen Bruder spazieren ging. Der Grund seines Kommen, den der Vater angab, war ständiger Husten, der nie aufhörte.

Paul war sehr brav, legte sich anstandslos auf die Liege und war eine Viertelstunde später eingeschlafen. Sein Vater schaute ungläubig, doch da für mich das Einschlafen während einer Behandlung nichts Ungewöhnliches war, arbeitete ich sanft weiter. Ich schob eine Hand unter Pauls Nacken und die andere unter sein Becken und fühlte mich in seine Craniale Welle ein. Sie war sehr unregelmäßig, floss vom Kopf in die Brustwirbelsäule und kehrte wieder um. Im Sacrum war sie für mich nicht spürbar. Ich hatte das Gefühl eines Staus in der Brust. So legte ich eine Hand unter das Ende der Brustwirbelsäule, die andere auf sein Zwerchfell. Hier war nur wenig Bewegung spürbar. Ich gab mit etwas Druck einen Impuls an das Zwerchfell und folgte mit meiner Hand den faszialen Bewegungen. Nach und nach entspannte sich Pauls Bauchraum. Er seufzte tief auf. Ich tastete wieder nach seiner cranialen Welle und siehe da, sie kam jetzt gleichmäßiger und erreichte das Wirbelsäulenende.

Damit war diese Behandlung für mich abgeschlossen und ich versuchte sanft Paul aufzuwecken, doch das war nicht möglich. Der Junge schlief so tief und wollte nicht in sein Tagesbewusstsein zurück. Der Vater versuchte es und dann holten wir noch die Mutter herein – auch sie schaffte es nicht Paul aufzuwecken. Es schien so, als holte sein Körper die Erholung, die sich der flinke Bursche schon lang nicht gegönnt hatte nach. So nahmen die Eltern ihren Sohn schlafend mit nach Hause, wo er bis am nächsten Tag in der Früh schlief.

Zum nächsten Termin kam Paul mit seiner Mutter. Für mich war er wie ausgewechselt. Er stand keine Minute still. Da er so klein und wendig ist, verschwand er hinter jeden Kasten, hinter jedem Regal. Seine Mutter und ich waren eine ganze Weile damit beschäftigt ihn einzufangen. Zu guter Letzt kletterte er auf den Behandlungstisch und ließ sich einfach hinunterfallen. Ich konnte gerade noch einen Arm ausstrecken um ihn aufzufangen. Als ich ihn festhielt, brüllte er wie am Spieß und begann mich zu beißen. Ich gab ihn an seine Mutter weiter und holte kurz Luft.

Ich fragte die Mutter, was denn heute mit Paul los sei. Und sie fragte erstaunt: „Hat ihnen mein Mann nicht erzählt, dass Paul hyperaktiv ist? Für uns war die erste Behandlung von ihnen ein Wunder, denn Pauls Ruhe hielt zwei Tage lang an und der Husten ist seitdem auch besser geworden.“ Nein, ich hatte von Pauls Hyperaktivität nichts gemerkt. Dafür merkte ich es jetzt umso heftiger. Irgendwie überredeten wir Paul sich auf die Decke zu legen, der Tisch war an diesem Tag zu gefährlich für ihn.

Ich tastete Pauls craniosacralen Puls. Er schoss wie ein Blitz vom Cranium zur Brustwirbelsäule und retour. Ich hielt Pauls sphenoidale zwischen meinen beiden Daumen, hatte aber das Gefühl im Blindflug zu arbeiten, denn Paul hielt keine Minute still. Ich ließ sein Keilbein so gut wie möglich entwinden und gab dem Jungen dann eine Pause.

Sobald wir mehr als fünf Minuten ruhig gearbeitet hatten, zuckte er komplett aus. Das ging ein paar Behandlungen so, bis mich meine Schwester auf einen Vortrag von Frau Ulla Kiesling mitnahm. Es ging hier um sensorische Integration im Dialog. Drei Dinge nahm ich aus diesem Vortrag mit: Das Arbeiten mit Kindern in einer Hängematte, dass hyperaktiven Kindern oft die Tiefeninformation fehlt und dass meistens ihr Gleichgewichtssystem gestört ist. Ich hatte einen Hängesessel zu Hause. Da ich mich mit einer schwingenden Matte mit Paul nicht zu arbeiten getraute, legte ich sie auf den Boden und die Aufhängung legte ich über einen Sessel, auf dem die Mutter saß.

Es war ein voller Erfolg. Paul rollte sich in die Matte ein, schob einen Daumen in den Mund und begann in einer Babysprache zu brabbeln. Pauls Mutter und ich waren uns einig, dass er in das Alter von ca. sechs Monaten regeredierte. Also behandelte ich ihn auch wie ein Baby. Sehr sanft dehnte ich seine Schädelnähte, worauf sich der craniosacrale Puls normalisierte und ruhig floss. Dann ließ ich sein Stirnbein entwirren und daraufhin meldete sich das Atlanto – occipitalgelenk, denn es wollte auch seine Spannung loswerden.

Diese Behandlung nahm ca. 20 Minuten in Anspruch und danach hatte Paul genug. Er begann sich wild in der Hängematte herumzuwälzen. Gott sei Dank ist Pauls Mutter Krankenschwester. Gemeinsam entwirrten wir ihn und ließen ihn seine Krabbelrunden unter dem Massagetisch drehen, bis er sich wieder beruhigt hatte.

Die Behandlungen in der Hängematte setzten wir fort. Ich wusste, dass ich ca. 20 Minuten Zeit hatte, so konnte ich gut arbeiten. Ich konzentrierte mich auf die ossa temporalia, denn sie beherbergen das Hör- und Gleichgewichtsorgan. Pauls Mutter war sehr zufrieden mit den Fortschritten. Paul war jetzt ruhiger, spielte länger an einem Platz, konzentrierte sich gut und dadurch, dass er sich nicht so verausgabte ging schließlich der Husten ganz weg.

Paul mochte mich gern leiden. Zu Beginn der Behandlung saß er gern auf meinem Schoß und so lang ich ihm seine Pausen gab und sein „Stop“ akzeptierte, musste ich ihn auch nirgends mehr einfangen.

Doch eines Tages benahm sich Paul schlimmer als je zu zuvor. Er rannte durch die Tür, warf alles um, schrie und tobte. Kein nettes Wort, kein lieber Blick aus seinen schönen braunen Augen. Die Mutter hielt ihn fest, damit sie mir kurz erklären konnte, was geschehen war. Paul war im Garten von der Rutsche gefallen und musste mit einer Gehirnerschütterung fast eine Woche im Krankenhaus bleiben.

Es sah so aus, als wäre der Erfolg der Craniosacralarbeit dahin. Es war nicht an Paul heranzukommen. Ein großer Teil der guten Erfolge, lag auch in dem guten Einverständnis, welches ich mit Paul Mutter hatte. Oft genügte ein Augenkontakt zwischen uns beiden und sie wusste was ich machen wollte. Ich dachte mir damals: „Greif schnell hin, fass sein sphenoidale, schieb es in die richtige Richtung und lass den Burschen dann in Ruh.“ Paul tobte in den Armen seiner Mutter. Ich nickte ihr zu und tat was ich mir vorgenommen hatte.

(So viel zu sanfter Craniosacralarbeit. Immer wieder muss ich schmunzeln wenn ich lese wie das Kind sanft lächelt, wenn man seine Schädelnähte usw. dehnt – das kommt auch vor, aber wenn dort wirkliche Blockaden vorliegen, geht es ohne Brüllerei meist nicht ab.)

Sobald ich Pauls Keilbein in seine richtige Position gebracht hatte, beruhigte sich der Bub und kletterte von Schoß seiner Mutter. Verblüfft schauten wir zu wie er sich ganz von selbst in die vorbereitete Hängematte legte. Seine Mutter und ich nahmen je zwei Enden der Matte und wiegten Paul sanft, bis er fast einschlief. Dann dehnte ich seine Schädelnähte, die durch den Sturz stark komprimiert waren. Ich entspannte sein Unterkiefer und zuletzt sein Zwerchfell. Nach genau 20 Minuten war es mit dem Stillliegen wieder vorbei und wir begannen ein sehr aktives Wirbelsäulenunwinding, dass Paul sehr genoss.

Anschließend konnte ich mich sogar ohne Störung mit Pauls Mutter unterhalten, denn der Bursche spielte ganz ruhig mit seinem Auto. Er würdigte mich keines Blickes mehr und schon gar nicht gab es das obligatorische Abschiedsbussi. Er zeigte mit ziemlich deutlich, dass er böse auf mich war, weil ich ihn ohne sein Einverständnis berührt hatte. Er bestand aber darauf den Terminvormerk für die nächste Sitzung selbst zu tragen.

Feedback:

Pauls Mutter stellte mir ihre Tagebucheintragungen aus dieser Zeit zur Verfügung. Lieben Dank dafür!

Auszug aus dem Tagebuch einer betroffenen Mutter:

Mein Sohn Paul, 5 Jahre, leidet seit seinem 1. Lebensjahr an chronischer Bronchitis und von Geburt an Hyperaktivität. Seine Bronchitis war so schlimm, dass er eine Woche hustete und vielleicht, wenn es gut ging, zwei Wochen Pause hatte.

Ich war bei diversen Ärzten, wie Lungenfacharzt, welche nur starke, hustenreizstillende Medikamente verordneten. Im Allergie Ambulatorium ließ ich ihn austesten, bei einer Homöopathin, welche ihn ebenfalls austestete, bekam er Komplexhomoöpathika verordnet. Schließlich ging ich noch zu Kinderlungenfacharzt, auch dieser konnte mir keine klare Antwort auf meine Fragen geben.

Ich hatte wirklich alles an Schulmedizin versucht – ohne jeden Erfolg. Dazu kam noch die Hyperaktivität, welche die ganze Familie belastete. Letztendlich kam noch die Geburt unseres zweiten Sohnes hinzu, wodurch sich Pauls Hyperaktivität dramatisch verschlimmerte.

Als ich von meiner Nachbarin erfuhr, dass es eine Therapieform gibt, welche sich Craniosacral Therapie nennt, konnte ich damit, obwohl ich Krankenschwester bin, nicht viel damit anfangen. Die Nachbarin erläuterte mir diese Form der Therapie und gab mir die Telefonnummer der Therapeutin, wo sie auch mit ihrer Tochter hinging. Ich zögerte nicht lange und griff zum Hörer.

Am anderen Ende meldete sich eine symphatische Stimme, die sehr vertraut klang. Und ich wusste, da sind wir richtig.

Wir machten uns gleich einen Termin aus. Mein Gatte begleitete unseren Sohn zur ersten Therapiestunde. Diese Stunde muss für unseren Sohn so entspannend gewesen sein, dass er einschlief und kaum mehr weckbar war.

Unsere Therapeutin machte uns darauf aufmerksam, dass sich Pauls Hyperaktivität in den nächsten Tagen verschlimmern könnte, was auch eingetroffen ist.

Wir gingen regelmäßig alle 3 – 4 Wochen zur Therapie. Der Therapieerfolg an Pauls Bronchitis stellte sich ca. nach der sechsten Stunde ein. Sie war zwar nicht ganz weg, jedoch sein Zustand war deutlich besser.

Bei manchen Kindern geht es rascher, andere brauchen etwas länger – so wie bei Paul.

Bei seiner Hyperaktivität dauerte es schon länger. Vor jeder Therapiestunde versprach er mir brav zu sein. Kaum angekommen veranstaltete er einen regelrechten Zirkus. Er spuckte, biss der Therapeutin in die Hand, trat mit den Füßen schrie herum, hüpfte auf und ab – typisch für ein hyperaktives Kind.

Ich, als Mutter, genierte mich unheimlich. Unsere Therapeutin war aber so geduldig und lieb, dass es für mich leichter war.

Über den Sommer (Urlaubszeit) hatten wir eine längere Durststrecke von ca. sechs Wochen, wo wir keine Therapie besuchten. In dieser Zeit war Pauls Hyperaktivität extrem. Er quietschte herum, war boshaft zu seinem Bruder und folgte absolut nicht.

Ich war am Boden zerstört. Wir haben ein großes Haus, ein Baby und einen Hund. Ich habe den ganzen Tag sehr viel zu tun und dazu kam unser hyperaktives Kind. Es ist für mich nicht immer einfach, aber in der Craniosacraltherapie sehe ich eine Zukunft für uns. Endlich war der Sommer vorbei und wir gingen voller Hoffnung in die Therapie.

Es war sehr anstrengend für uns alle, aber siehe da es hat sich gelohnt. Mein Sohn ist deutlich ruhiger geworden. Ich kann diese Therapieform jeden empfehlen. Seit wir sie machen geht es Paul und damit auch uns bedeutend besser, auch sein Husten hat sich beruhigt. Natürlich hoffen wir, dass der Erfolg anhält. Aber ich sehe allem positiv entgegen. An dieser Stelle herzlichen Dank an unsere Therapeutin Michaela, ohne die dies nicht möglich gewesen wäre.

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