Peter - Entwicklungsstörung

Peter ist vier Jahre alt, doch seine Körpergröße entspricht der eines siebenjährigen. Er ist stark entwicklungsverzögert, sowohl in seiner Körpersprache, seiner Motorik, als auch in seiner Sprache. Er kam mit seiner Mutter, weinte herzzerreißend und stieß unverständliche Klagelaute aus.

Was mir als erstes auffiel, war der rote Plastiklöffel, den seine rechte Hand umklammerte. Auf meine Frage diesbezüglich, antwortete seine Mutter, dass solange sie sich erinnern kann Peter vorzugsweise diesen roten Löffel, oder wenn dieser gerade nicht auffindbar etwas Ähnliches in der Hand hielte, auch beim Schlafen.

Ich beschloss mit Peter auf dem Boden zu arbeiten, da wir hier immer wesentlich mehr Bewegungsfreiheit haben und die Kinder sich sicherer und damit wohler fühlten. Und so breitete ich meine Behandlungsdecke aus und Peters Mutter bewegte den Kleinen mit viel gutem Zureden dazu sich mit ihr darauf niederzulassen. Der Bub weinte bitterlich, sein Gesicht war schmerzverzerrt, ohne dass sich ein äußerer Anlass für diesen Schmerz gezeigt hätte.

Ich setzte mich in die äußerste Ecke meines Behandlungsraumes, um ihm das Gefühl, ich wolle ihn nicht bedrängen zu geben, und beobachtete Mutter und Sohn eine Weile. Nach einiger Zeit bekam ich ein Gefühl für die beiden und ich fragte die Mutter etwas bei seiner Geburt geschehen war. „Gar nichts, eine ganz normale, sogar recht schnelle Geburt“, antwortete sie. „Ist jemand während sie mit Peter schwanger waren gestorben?“, fragte ich. Da verzerrte sich das Gesicht der Mutter genauso schmerzvoll, wie das von Peter und sie begann zu schluchzen. Ich ermunterte sie ihren Schmerz endlich herauszuweinen und als sie dies zuließ, hörte Peter mit dem Weinen auf und begann seine Mutter interessiert zu betrachten.

Nachdem sich die Mutter durch einige tiefe Atemzüge etwas beruhigt hatte erzählte sie: „Ich war schon zehn Tage über den Geburtstermin und war ins Krankenhaus zur Einleitung der Geburt bestellt. Es war in einem kleinen Spital am Land. Da meine Großmutter, die ich sehr gern hatte, im gleichen Spital lag, ging ich früher hin um sie zu besuchen. Als ich das Krankenzimmer betrat, beugte sich eine Schwester gerade über meine Oma. Sie blickte mich an und teilte mir mit, dass meine Oma soeben verstorben sei. Ich bekam einen Schock und sofort setzten die Wehen ein. Unverzüglich wurde ich in den Kreißsaal gebracht. Die Wehen waren so stark, dass Peter ziemlich schnell geboren wurde.“

Die Mutter erzählte weiter, dass sie schon öfter an einen Zusammenhang zwischen Peters Verhalten und den Umständen unter denen er geboren wurde gedacht hätte, doch alle die sie bisher gefragt hatte, hätten nur verneinend den Kopf geschüttelt.

Peter war während unseres Gespräches recht ruhig geworden und so setzte ich mich zu ihm auf die Decke und berührte seine Füße.

Ängstlich klammerte er sich an seine Mama. Ich ertastete seinen craniosacralen Puls und nach kurzem, sanftem Festhalten stellte dieser ab. In minutenschnelle schlief Peter ein und entspannte sich derart, dass seine Blase sich entleerte. Das war seiner Mutter mehr als peinlich doch für mich war es ein erster Erfolg. Durch die tiefe Entspannung konnte sich sein System neu organisieren, und seine Seele wusste am besten was der kleine Bub brauchte.

Ich ließ den Buben eine Weile schlafen und unterhielt mich in dieser Zeit mit der Mutter über ihre Sorgen. Danach weckten wir Peter sanft auf. Noch sehr unsicher blickte er mich an, aber er weinte nicht mehr und gab mir zum Abschied sogar die Hand.

Als Peter zur zweiten Behandlung kam, weinte er wieder, diesmal aber anders, nicht so schmerzvoll, eher aus Gewohnheit. Er sprach etwas deutlicher und ich konnte die Worte „Oma“ und „nach Hause“ verstehen. Ich wunderte mich sehr, dass er statt seinem roten Löffel einen Elefanten mitgebracht hatte. Auf meine Frage erzählte mir die Mutter, dass Peter das Festhalten eines Gegenstandes nicht mehr so oft brauche.

Wieder arbeitete ich mit dem Buben am Boden und wieder begann ich an den Füssen. Nur langsam fasste er Vertrauen zu mir und erlaubte mir seinen Beckenboden und sein Zwerchfell zu entspannen. An seinen Kopf ließ er mich trotz viel guten Zuredens seitens der Mutter nicht.

Ich schlug vor zur nächsten Behandlung seinen um zwei Jahre älteren Bruder mitzubringen. Sie kamen gemeinsam und brachten auch die Oma mit, an der die zwei Burschen sehr hängen. Wir waren zu viert auf der Decke, die Oma sah vom bequemen Sessel aus zu. Nachdem ich mit Jakob, dem Bruder, etwas geplaudert hatte, willigte er ein sich auf den Rücken zu legen und seinen Kopf in meine Hände zu legen. Der Bursche entspannte sich rasch und man konnte sehen, wie er die sanfte Berührung genoss. Peter beobachtete alles vom sicheren Schoß seiner Mutter. Nach ca. fünf Minuten rückte er immer näher und legte sich dann neben seinen Bruder. Ich hielt eine Hand auf seinen und eine Hand auf Peters Kopf. Bald konnte ich spüren wie sich ihre beiden Pulse synchronisierten. Im Raum breitete sich tiefe Harmonie aus, beide Buben waren sehr entspannt und schliefen fast ein. Doch dann war der Ältere scheinbar ausgeruht und die beiden Jungs tobten wild auf der Decke herum. Peter stand seinem Bruder in keinem Kunststück nach.

Immer wieder beobachte ich, dass Kinder nur begrenzte Zeit sanfte Berührung wirklich genussvoll zulassen können. Entweder bleiben sie „brav“, doch sehr gelangweilt oder verkrampft liegen, oder sie müssen aufs Klo, oder kratzen sich dauernd usw. Mitunter ist diese Phase durch schnelles Schwingen des Körpers oder starken Druck, der die Tiefenwahrnehmung fördert abzufangen, doch manchmal ist es einfach notwendig eine Pause zu machen und die Kinder sich bewegen und herumturnen zu lassen.

Jakob und Peter ließen nach der “Tobpause“ noch eine kurze Behandlungssequenz zu. Beide hatten Vertrauen zu mir gefasst und zu unser aller Verblüffung bekam ich zum Abschied ein Bussi von Peter.

Zum nächsten Termin kam Peter wieder mit seiner Mama alleine – ohne Löffel – ohne Elefant. Ich freute mich sehr, denn das zeigte mir, dass er mehr Stabilität gefunden hatte und nichts mehr zum Anhalten brauchte. Es war für mich sehr berührend, als er sich ohne wenn und aber auf die Decke setzte und seinen Kopf vertrauensvoll in meine Hand schmiegte. Einige Zeit machte ich gar nichts und genoß nur diesen großen Vertrauensbeweis.

Dann begann ich behutsam sein os sphenoidale zu erfühlen und spürte sofort die große Spannung, mit der das sphenoidale ans occiput gebunden war. Es fühlte sich wie zusammengeschweißt an. Ich legte meine Daumen an die großen Flügel des sphenoidale (in der Höhe der Augenlider). Und fast sofort trat ein Entwirrungsprozess ein.

Das sind Momente in einer Behandlung, wo der Betrachter nur zwei aufgelegte Daumen sieht, die sich scheinbar nicht bewegen. Eltern sagen dann oft zu ihren Kindern, wenn sie unruhig werden: „das ist doch angenehm, bleib doch ruhig liegen.“ Doch oft ist es schwer ruhig liegen zu bleiben, wenn sich im Kopf alles dreht oder man eine Wellenbewegung, die immer wieder abgebremst wird, verspürt. Manchmal können auch Schmerzen in ganz anderen Körperteilen auftreten, doch von außen sieht es aus als würde nicht viel getan.

Peters sphenoidale bewegte sich recht heftig und ich bekam das Gefühl, dass es von irgendetwas in seiner normalen Flexions- Extensionsbewegung behindert wurde. Peters Kopf erschien sehr groß und rund, doch bei genauer Betrachtung konnte man sehen, dass er sehr flach war. Ich dehnte mit beiden Händen die Falx und auch sie stieg in einen großen Entwirrungsprozess ein. Peter entspannte sich zusehends. Nach dem der Entwindungsprozess zur Ruhe gekommen war, ging ich zum sphenoidale zurück und siehe da jetzt war die Läsion genau zu erkennen. Ich tastete eine seitliche Verschiebung nach rechts. Meistens verwende ich indirekte Techniken, so auch hier. Ich drängte den Knochen dazu, noch mehr in seine Verschiebung zu gehen, indem ich mit Daumen und Zeigefinger der einen Hand die Schläfen umfing und mit der anderen Hand das Hinterhaupt umfasste und wartete bis ich einen Impuls des Knochens bekam in die Gegenrichtung zu gehen.

Hier ist viel Geduld gefragt, nicht nur meine auch die der Kinder. Meistens taucht hier die Frage: „Dauert es noch lange?“, auf. Man muss dem Knochen und seinen Verbindungen zu anderen einfach Zeit geben sich aus dem Fehlmuster herauszuwinden.

Nachdem ich ein Gefühl der Lösung wahrnahm, bekam Peter die versprochene Pause und er durfte ein bisschen spielen. Danach überließ er mir wieder freiwillig seinen Kopf und ich konnte in aller Ruhe eine Ventrikeldrainage zum besseren Abfluss der Gehirnflüssigkeit vornehmen. Bei dieser Drainage beginnt die Lymphflüssigkeit im ganzen Körper zu fließen und Peter musste dringend die Toilette aufsuchen. Ein gutes Zeichen für die Therapeutin.

Vierzehn Tage später freute ich mich sehr weil Peter so lustig war, als er bei mir eintraf. Er sprach sehr viel, aber ich konnte kein Wort verstehen. Seine Mutter „übersetzte“ mir, er hatte einen Film gesehen, der Ferkels Abenteuer hieß.

Da Peter sehr zutraulich war konnten wir gleich beginnen und wir machten ein Unterkieferunwinding, das recht intensiv war. Danach ruhte sich Peter ein wenig aus um dann wieder von Ferkels Abenteuer zu erzählen. Ich nahm ihn auf den Schoß und hielt seinen Bauch mit meinen Händen. Mit seinem Rücken war er so fest mit meinem Bauch verbunden. Ich summte die Silbe „Om“. Peters Mutter summte gleich mit und bald darauf begann Peter auch mitzusummen. Ich summte vor: „A-ben-teu-er“ und Peter summte es nach. Nach einiger Zeit begriff er was geschehen war. Er sprang auf und rief: „Abenteuer“, zwar noch etwas langsam aber sehr deutlich. Seiner Mutter standen die Tränen in den Augen und ich war sehr glücklich. Peter wiederholte dieses Wort ununterbrochen. Seine Mutter und auch seine Kindergartenpädagogin beneidete ich in den nächsten Tagen nicht – Peter wiederholte sein mühsam erworbenes Wort die ganze Zeit.

Ich denke Peter ist jetzt reif mit einer Logopädin weiterzuarbeiten und ich werde ihn noch ein Stück unterstützend begleiten.

Danke Peter

Feedback:

Nach mehreren Behandlungen sagte Peters Mutter folgendes:

„Ich bin sehr erfreut, dass Peter jetzt aufgeschlossener ist. Er geht mehr auf die Leute zu und bemüht sich deutlich zu sprechen. Vorher war ihm das egal, ob ihn wer versteht oder nicht. Zu Hause ist es auch angenehmer, weil Peter mehr Geduld für Spiele aufbringt. Zum Beispiel sitzt er jetzt eine recht lange Zeit bei einem Puzzle und ist auch imstande es zusammenzubauen, das wäre vor einigen Wochen nicht möglich gewesen.“

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