Der Vaterkomplex

Der Vater nimmt auf unsere Entwicklung gleich viel Einfluss wie die Mutter. Wie und in welchem Ausmaß sich unser Vater für uns verantwortlich fühlt, ob er die Familie tatkräftig unterstützt und sich ihr zugehörig fühlt oder ob er von der Ferne aus Geld überweist, sein Verhalten prägt unser inneres Vaterbild.

Ein negatives Vaterbild trägt oft schon zu frühkindlichen Verhaltensstörungen bei, prägt aber in jedem Fall unseren weiteren Lebensweg.

C.G. Jung unterscheidet zwischen einem Vaterkomplex des Mannes – Ödipuskomplex und der Frau - Elektrakomplex. Er ordnet die männlichen Züge, die einer Frau innewohnen, der Anima und die männlichen Komponenten eines Mannes dem Animus zu. Daraus folgert, dass die innewohnende Männlichkeit eines jeden Menschen sich größtenteils nach dem richtet, wie er seinen Vater erlebt hat, bzw. welche Teile aus dem kollektiven Unbewussten er auf seinen persönlichen Vater projiziert.

Diese innewohnende, von dem Vater geprägte Männlichkeit, projiziert die Frau nach außen und das ist sozusagen ihre Brille, durch die sie Männer im Außen wahrnimmt und die ihr Männersuchbild bestimmt.

Der Mann hingegen trägt dieses Männerbild gemäß seiner Natur in seinem Inneren und versucht diesem inneren Vaterbild nachzueifern oder lehnt es komplett ab und übt sich im Gegenteil, oft ist es eine Mischung aus Beidem, je nach dem, was Mann an dem Vater schätzt und was nicht.

Sobald ein Mensch beginnt sich bewusster wahrzunehmen und Unabhängigkeit erlangen möchte, zeigen sich Probleme, die je nach Charakter und Lebenssituation mehr oder weniger gut gelöst werden.

Jugendliche schließen sich oft in Gruppen mit Gleichgesinnten zusammen. In dieser Zeit werden Mutter- und Vaterkomplexe das erste Mal bewusst. Ist der Vater z.B. extrem dominant, wird der Jugendliche sich mit allen Mitteln dagegen auflehnen oder er fügt sich und ordnet sich unter und zieht immer den Kopf ein.

Die Pubertät ist die Zeit in der man ein Gefühl für sein eigenes Ich entwickelt und sich Fragen stellt: „wer bin ich?“ „was will ich?“ „was wollen die anderen von mir?“ „will ich das auch?“ usw. Daraus entsteht ein sehr unsicheres Gefühl, dass sich oft in Haltung und Kleidung der Jugendlichen ausdrückt und das solange andauert bis sich ein reifes Ich entwickelt hat.

Oftmals stellt sich ein sicheres inneres Gefühl nie ein und man legt sich eine „Maske“ zu, die die innere Unsicherheit, die Unzulänglichkeitsgefühle und Ängste überdecken soll. Mit der Zeit wird man sich selbst so fremd, dass man glaubt, man ist tatsächlich so. Diese Selbstentfremdung ist Nährboden für jede Menge Probleme körperlicher und seelischer Art.

Ein junger Mensch, der die Ablösungsphase von seinen Eltern und Bezugspersonen positiv vollzogen hat, kann all die positiven vom Vater geprägten Eigenschaften, wie z.B. Zuverlässigkeit, innere und äußere Autorität, eigene Meinung etc. verinnerlichen und erfährt von seiner Umwelt im Gegenzug liebevolle, freundliche Rückmeldung, so dass sich sein Leben im Großen und Ganzen positiv gestaltet.

Im Traum oder der Meditation zeigt sich eine positiv verinnerlichte Vaterfigur als weiser Geist, als alter kluger Mann, der wertvolle Ratschläge gibt, als Professor oder Arzt und auch als innerer Führer.

Die folgende Auflistung ist sicher nicht vollständig, sie zeigt pauschal an, wie sich etwas entwickeln kann und wird teilweise bei beiden Geschlechtern zutreffen. Will man wirklich seine Probleme lösen, muss man sich die Problematik jedes Einzelnen im Detail am besten mit Hilfe eines Therapeuten / einer Therapeutin ansehen.

Der negative Vaterkomplex bei Frauen:

  • Die Tochter wurde vom Vater als absolute Thronprinzessin behandelt

Als Frau erwartet sie die unverzügliche Erfüllung ihrer Wünsche und Bedürfnisse und ist äußerst anspruchsvoll

Probleme:

Mit dem Partner, der seinerseits auch seine Bedürfnisse befriedigt sehen möchte. Geldprobleme, weil die Ansprüche hoch sind und nicht warten können. Oft entwickelt sich im Erwachsenenalter das Gefühl zu wenig zu bekommen.

Am Arbeitsplatz, hier wird ein gewisser Grad von Unterordnung und Zusammenarbeit gefordert und das ist diese Dame nicht gewöhnt. Stell Dir einmal eine „Kronprinzessin“ im Supermarkt beim Regalschlichten vor, sie wird äußerst unglücklich erscheinen und sich erniedrigt fühlen.

Durch die Diskrepanz, die sich zwischen der Kindheitssituation und der Erwachsenensituation ergibt, neigt die Frau zu Missmut, Übellaunigkeit und Mangel, da sie es nicht gewöhnt ist, sich ihre Wünsche selbst zu erfüllen. Sie erwartet von ihrer Umwelt, die Erfüllung auch ihrer nicht geäußerten Wünsche. Sie beklagt sich oft und sie fühlt sich unter ihrem Wert verkauft.

  • Die Tochter wurde vom Vater entwertet, nach dem Motto „Frauen sind nichts wert und gehören in die Küche“

Als Frau fühlt sie sich wertlos und ungeliebt. Möglicherweise versucht sie es allen recht zu machen, übernimmt sich, ist überfordert und endet im Burn out.

Probleme:

Je nach Charakterstruktur versucht die erwachsene Frau zu beweisen, dass sie wertvoll ist und steigt in jeden Wettkampf ein oder sie benutzt jede Situation ihre Wertlosigkeit zu bestätigen. Beide Ansätze machen eine gleichberechtigte, harmonische Partnerschaft unmöglich.

Am Arbeitsplatz: Eifersüchteleien und das Gefühl nie für die eigene Leistung bestätigt werden. Nimmt Arbeit an, die weit unter ihrer Ausbildung liegen, da sie sich nichts zutraut.

  • Die Tochter wurde vom Vater als Ersatzpartnerin gehalten

Die typische Kindfrau auf die der Vater stolz ist und mit der er sich gerne zeigt. Sie kann sich gut in Szene setzen und mit bewunderndem Augenaufschlag Männerherzen höher schlagen lassen. Sie hat auch immer im Auge, dass es Mann gut geht und er ihr seine Bewunderung zeigt.

Probleme:

Mangelnde Konzentration auf sich selbst, Frau schielt immer nach „Papis“ Anerkennung. Neigung zu vielen Flirts, da der eigene Partner in der Aufmerksamkeit im Alltag nachlässt.

Am Arbeitsplatz ist diese Frau sehr lobabhängig. Mit Männern hat sie wenig Schwierigkeit, da sie diese um den Finger wickelt. Großes Konkurrenzdenken anderen Frauen gegenüber, die nicht so zurückstehen, wie einst die Mutter.

Der ängstliche, selbstunbewusste Vater, der seine Tochter unter eine Käseglocke stellt

Ein ungeschicktes, hässliches Entlein wird in die große böse weite Welt entsandt. Es liegt jetzt an ihr, sich in einen stolzen Schwan zu verwandeln.

Probleme:

Dieser Typ Frau hat es schwer im Leben. Da sie vom Vater und meist auch von der Mutter Null Selbstbewusstsein mitbekommen hat verkommt sie als Mauerblümchen. Sie traut sich nichts zu und fühlt sich wertlos. Vorbehaltslos lässt sie die Meinungen anderer mehr gelten als ihre eigene. Sie ist aufgefordert an ihrer Entwicklung zu arbeiten, denn sonst lässt sie sich kritiklos nicht nur von ihrem Mann und ihren Kindern alles gefallen. Oft leidet sie an Wirbelsäulenproblemen und sämtlichen Frauengeschichten.

Am Arbeitsplatz ist sie nicht fähig aus sich selbst heraus Eigeninitiative zu zeigen. Sie ist Tratsch aufgeschlossen und fällt auf jede mögliche Geschichte herein.

  • Der dominante Vater, der Frauen unterjocht

Die erwachsene Frau hat den Kopf immer leicht eingezogen, vorsichtshalber. Immer schielt sie nach einer Ecke, in der sie sich verstecken kann.

Probleme:

Identifiziert sich die Frau mit ihrer Mutter, wird sie in der Opferrolle bleiben, identifiziert sie sich mit dem Vater, wird sie selbst nach Dominanz streben und ihr Wort Gesetz werden lassen. Beide Varianten werden sie nicht besonders glücklich machen.

Je nach Entwicklung gibt die Frau sowohl in der Partnerschaft, als auch am Arbeitsplatz den Ton an oder sie zieht weiterhin den Kopf ein und wartet ab, bis das Donnerwetter vorüberzieht.

  • Der abwesende Vater

Die Frau fühlt sich alleine gelassen. Oft wird der abwesende Vater durch ein Phantasiebild ersetzt und sie kann sich sehr zu Religionen und liebenden Göttern hingezogen fühlen.

Probleme:

In der Partnerschaft sucht sie dieses Phantasiebild. Sie verliebt sich möglicherweise in spirituelle Führungspersönlichkeiten, Ärzte, Therapeuten, die aber sobald die rosa Brille im Alltag grau geworden ist, ihren Sehnsüchten nicht entsprechen. Das kann dazu führen, dass sie sich extrem zu Esoterik hingezogen fühlt und ein leichtes Opfer für Geschäftemacher wird.

Am Arbeitsplatz: Frauen, deren Vater nicht existent war, haben oft ein großes handwerkliches Geschick, da sie ja von klein auf „männliche“ Arbeiten übernehmen mussten. So können sie sich auf ihrem Arbeitsplatz oft sehr positiv einbringen.

Zum Abschluss einige Fragen, die zum Nachdenken anregen sollen:

  • Wie wertvoll ist Mutter/Vater in Deinem Leben?
  • Viele leben in einer „Patchwork“ Familie – Was sind Deine Erfahrungen – wie geht es Dir damit?
  • Sexueller Missbrauch von Vertrauenspersonen? – Die Medien sind voll davon – leidest Du darunter? – Möchtest Du etwas dazu sagen?
  • Haben sich die Mütter geändert – arbeiten sie genauso viel wie Männer und machen Karriere?
  • Haben sich die Väter geändert – übernehmen sie „Pflichten“ Kindererziehung, wickeln, füttern, staubsaugen putzen, einkaufen, kochen - wie siehst Du das?
  • Sind Mutter und Vater gleich belastet und/oder beide Elternteile überlastet
  • Mischen sich Väter/Mütter in Dein Leben ein, obwohl Du schon erwachsen bist?
  • Ist es so, dass sich die Gesellschaft geändert hat?
  • Sind Wohnungspreise so gestiegen, dass Söhne / Töchter sich die eigene Wohnung nicht leisten können und deswegen länger bei den Eltern bleiben?
  • In vielen Ländern leben und schlafen bis zu 8 Personen und mehr in einem Raum und viele unter freiem Himmel – haben die dann auch einen Mutterkomplex/Vaterkomplex?